Stellungnahme zum Entwurf der Psychotherapeutenausbildung Januar 2019

Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zur Reform der Psychotherapeutenausbildung

 

Am 03.Januar 2019 hat das Bundesministerium für Gesundheit den Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Psychotherapeutenausbildung (Psychotherapeutenausbildungsreformgesetz – PsychThGAusbRefG) veröffentlicht, zu dem hier von Seiten der Gesellschaft für gemeindepsychologische Forschung und Praxis (GGFP) eine Stellungnahme erfolgt.

Die GGFP organisiert in Deutschland die Akteure der Community Psychology (Gemeindepsychologie) in Wissenschaft und Praxis, führt jährliche Fachtagungen durch und gibt eine Fachzeitschrift (Forum Gemeindepsychologie) heraus.

Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf reagiert auf die seit spätestens 2008 diskutierten Reformbedarfe in der Ausbildung zur Psychotherapie. Als reformbedürftig wurden insbesondere die unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen für die Ausbildung als Kinder- und Jugendpsychotherapeut*in sowie als psychologische Psychotherapeut*in, die Ausbildungskosten, die fehlende Bezahlung von angeleiteten Tätigkeiten im Rahmen der Weiterbildung, die notwendige Anpassung an Bachelor- und Masterstrukturen, die unzureichende Berücksichtigung inhaltlicher Weiterentwicklungen in Bezug auf Therapieansätze und therapeutische Verfahren angesehen. Der jetzt vorgelegte Referentenentwurf – so das BMG – basiert auf dem Beschluss des 25. Deutschen Psychotherapeutentages zur Ausbildungs- und Weiterbildungsstruktur.

Wesentliche Inhalte des Entwurfs sind

  • die Einführung eines fünfjährigen Studiengangs Psychotherapie mit den Abschlüsse BA und darauf aufbauend MA, und damit die Abschaffung der bisherigen postgradualen Ausbildungsstruktur zugunsten eines Direktstudiums. Es finden sich in dem Gesetz zudem Vorgaben zum Gesamtstudienumfang, zu Inhalten der Ausbildung am Lernort Hochschule und in berufspraktischen Einsätzen.
  • Die Erteilung der Approbation erfordert das Bestehen einer zusätzlichen psychotherapeutischen Prüfung nach Abschluss des Studiengangs, die unter Aufsicht und Verantwortung des staatlichen Prüfungsamtes steht.
  • Die Spezialisierung auf bestimmte Altersgruppen (z.B. Kinder und Jugendliche) sowie auf spezifische Verfahren wird auf die Weiterbildungen in der Zeit nach der Approbation gelegt, weshalb es zukünftig nur noch die Bezeichnung Psychotherapeut*in geben soll. Lediglich Ärzt*innen sollen zur Unterscheidung in Zukunft den Zusatz „ärztliche Psychotherapeut*in“ tragen.
  • Die Befugniserweiterung hinsichtlich der Verordnung von Ergotherapie und psychiatrischer Krankenpflege sowie eine Verschreibung von Psychopharmaka, durch Absolvent*innen von neu einzurichtenden sog. Modellversuchsstudiengängen (§ 26 PsychThGAusbRefG).

Die GGFP gibt für die weitere Diskussion des Referentenentwurfs folgende Punkte zu bedenken:

 

  • Konsequente Orientierung an einem biopsychosozialen Gesundheits- und Krankheitsverständnis ist notwendig

In den Festlegungen zu den Inhalten der Ausbildung und zur Ausgestaltung der beiden Studiengänge (BA und MA) Psychotherapie entsteht der Eindruck, dass diese dem aktuellen fachlichen Stand insofern noch nicht gerecht werden, als sie nur ein biomedizinisches Verständnis widerspiegeln und nicht ein interdisziplinär angelegtes bio-psycho-soziales Gesundheits- und Krankheitsverständnis zu Grunde gelegt wird. Zwar wird in § 1 (3) PsychThGAusbRefG durch die explizite Erwähnung von Beratung, Prävention und Rehabilitation eine Orientierung an einem bio-psycho-sozialem Modell möglicherweise zum Ausdruck gebracht, aber bereits in § 7 (3) fehlen in der Auflistung Inhalte, die ein umfassendes bio-psycho-soziales Gesundheits- und Krankheitsverständnis befördern könnten. Dies wird durch eine Fokussierung auf eine individualisierende psychologische Perspektive nicht abgedeckt. Die GGFP legt deshalb nahe Folgendes in § 7 (3) zu ergänzen: „9. Soziale und gesellschaftliche Kontexte und ihre Bedeutung für die Entstehung psychischer Beeinträchtigungen zu verstehen und gemeinsam mit Akteuren aus dem sozialen, kulturellen, zivilgesellschaftlichen und politischen Bereich an einer nachhaltigen Verbesserung der Kontextbedingungen mitzuwirken.“ Zusätzlich kann dann auch die zweite in der Begründung benannte Managementregel der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie zur Stärkung des sozialen Zusammenhaltes nicht verkürzt auf den demografischen Wandel (Referentenentwurf, S. 42) dargestellt werden, sondern die Aspekte Armut, soziale Ausgrenzung und Teilhabe fänden dann im Gesetz Berücksichtigung und könnten auch so in ihrem vollen Umfang aus der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie zitiert werden.

 

  • Verzicht auf biomedizinische Akzentuierungen

Der GGFP erscheint die angelegte Möglichkeit der Nennung der Zusatzbezeichnung „ärztliche/r Psychotherapeut/in“ dem Anliegen des Gesetzentwurfes nach weitestgehender Harmonisierung von Unterschieden im Berufsbild inkonsequent und die Einrichtung von Modellversuchsstudiengängen mit dem Ziel der Befugniserweiterung von Psychotherapeuten in Richtung Verordnung von Psychopharmaka lässt vermuten, dass der Beruf des Psychotherapeuten allein einer ärztlichen Perspektive untergeordnet werden soll. Die notwendige Zusammenarbeit zwischen biomedizinischen und psychotherapeutischen Ansätzen in der Behandlung spezifischer Störungsbilder lässt sich auch heute schon durch Kooperation steuern. Gerade die Diskurse um Personal Recovery (Slade 2009) bestätigen insbesondere für chronisch psychisch beeinträchtigte Menschen die Wichtigkeit von Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedensten Ansätzen auf dem individuellen Weg der Genesung. Dieses internationale Qualitätsmerkmal sollte mit einer Neuformulierung des Psychotherapiegesetzes nicht aufgegeben werden.

 

 

 

  • Verschiedene Zugangswege zur Ausbildung zulassen

Der Referentenentwurf sieht keinerlei Möglichkeiten mehr für einen Quereinstieg in eine Ausbildung für das psychotherapeutische Arbeitsfeld vor und es findet eine weitgehende Angleichung mit dem medizinischen Ausbildungsmodell statt. Dies wird aus unserer Perspektive nicht den besonderen Anforderungen an Psychotherapie gerecht. Auch ein Blick in die Ausbildungswege zeigt, dass in etlichen anderen europäischen Staaten die geforderten Grundstudiengänge vielfältiger sind (Strauß 2009, S. 459), als dies zukünftig in Deutschland sein soll. Wir sehen in dieser Ausrichtung einerseits eine erhebliche Einschränkung der Fachkompetenzen, da andere Perspektiven als eine individuumszentrierte klinische Perspektive kaum mehr Eingang finden wird, und andererseits eine unnötige Schließung des Berufsfeldes.

Wir fordern deshalb, auf den BA-Studiengang Psychotherapie als Zugangsvoraussetzung zu verzichten. Es muss aus unserer Perspektive auch möglich sein, mit einem Studium der Psychologie, der Pflegewissenschaften, der Sozialen Arbeit, der Erziehungswissenschaften/Pädagogik auf Bachelorniveau zum Masterstudiengang Psychotherapie zugelassen zu werden. Der im Gesetz vorgesehene, sehr lange Ausbildungsweg ohne Quereinstiegsmöglichkeiten ist vor dem Hintergrund der Zielsetzungen des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) aus unserer Perspektive zu überdenken. Dieser setzt bekanntlich darauf, dass die erlangten Fertigkeiten, Kompetenzen und Kenntnisse und nicht die Ausbildungsorte dokumentiert werden und zur Grundlage der Entscheidungen über die Erlaubnis, beruflich tätig zu sein, gemacht werden sollen. Die Feststellung der Kompetenzen kann dabei durchaus in einem Approbationsverfahren erfolgen.

So wurde von Akteuren aus dem Bereich Soziale Arbeit (z.B. Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit, Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge) bereits in der letzten Legislaturperiode nicht zu Unrecht befürchtet, dass den Grundorientierungen der Psychotherapie und ihrer Interventionsverfahren viel weniger Platz eingeräumt wird. Überlegungen des letzten Deutschen Psychotherapeutentages lassen befürchten, dass man sich sehr stark an einem psychologischen Kerncurriculum orientiert, erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse und Inhalte der Sozialen Arbeit, die wesentlich für eine fundierte Arbeit insbesondere mit Kindern- und Jugendlichen sind, nicht ausreichend berücksichtigt. Diese Ausbildungsreform wird – so ist zu befürchten - sozialpädagogische Handlungsstrategien in ihrer Bedeutung für eine erfolgreiche Psychotherapie im Kinder- und Jugendalter negieren und damit auch aus dem Handlungsrepertoire zukünftiger KJP streichen. Die GGFP teilt diese Sorge. Da ihr die Integration von Wissensbeständen aus Erziehungs-/ Sozialwissenschaften, aus der Psychologie und Medizin für eine fachgerechte Versorgung wichtig ist, spricht sich die GGFP dafür aus, die vorliegende Konzeption der Direktausbildung zu überdenken und weiterhin Zugänge auch für andere Ausbildungsgänge offenzuhalten. Insbesondere für das große Arbeitsfeld in der Kinder- und Jugendhilfe wird es ansonsten schwierig werden, den erforderlichen Fachkräftebedarf zu decken. Es ist ansonsten zu befürchten, dass Angestelltenverhältnisse unter den Bedingungen des TVöD nur für approbierte Psychotherapeuten ohne weitere Qualifikationen, also auch ohne Vertiefung in der Kinder- und Jugendpsychotherapie noch attraktiv sein werden.

 

  • Stärkere Orientierung an der Förderung personaler und sozialer Kompetenzen für die Ausübung des Psychotherapeutenberufes

Insgesamt wird in dem Ausbildungsgesetz ein sehr technizistisches Verständnis der Ausbildung und Vorgehensweise in der Psychotherapie gezeichnet. Dies entspricht weder den Ergebnissen der Psychotherapieforschung, die insbesondere auf die Ausgestaltung der Patient-Therapeut-Beziehung als einen wichtigen Wirkungsfaktor abhebt, noch einem angemessenen Umgang mit dem komplexen Ineinanderwirken der einzelnen Faktoren innerhalb des bio-psycho-sozialen Krankheitsmodells (s.o.). Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass entgegen den bisherigen Richtlinien zur Psychotherapieausbildung bei deutschen Ausbildungsinstitutionen, in anderen europäischen Staaten und der European Association for Psychotherapy der Anteil an Selbstreflexion, Selbsterfahrungskomponenten und Supervision gering ausfällt und dieser somit in die Zeit nach der Approbation verlegt wird. Dies ist aus unserer Sicht zu spät, insbesondere wenn man sich vor Augen hält, dass der/die lebenserfahrene Berufspraktiker*in eher die Ausnahme als Studierende der Psychotherapie sein wird. Die GGFP fordert deshalb eine deutliche Ausweitung dieser Komponenten zulasten anderer Ausbildungsinhalte.

  • Nicht-intendierte Nebenwirkungen des vorliegenden Referentenentwurfs

Mit der durch den Referentenentwurf geplanten Einführung eines Direktstudiengangs mit Bachelor- und Masterabschluss wird angesichts der dafür notwendigen Fokussierung von Lehrkapazitäten eine grundständige Ausbildung im Fach Psychologie gefährdet. Dies gilt selbst dann, wenn die Kapazitäten vollständig zusätzlich aufgebaut werden sollten, da bereits heute ein Fachkräftemangel oder zumindest eine Fachkräfteknappheit auf diesem spezifischen Arbeitsmarkt festzustellen ist, weshalb vorhandenes Lehrpersonal Aufgaben in den neuen Studiengängen zu übernehmen haben werden. Eine Gefährdung der grundständigen Ausbildung hätte überaus negative Folgen für das Fach selbst sowie für zahlreiche Anwendungsfächer. Zudem würde ein grundständiger BSc-Studiengang Psychologie wahrscheinlich besser dazu beitragen, dass auch in Zukunft der Transfer der wissenschaftlichen psychologischen Grundlagenforschung, auf der die angewandte Psychotherapie aufbaut, stattfindet. Auch angesichts dieser sicherlich nicht intendierten Nebenwirkungen findet die GGFP es für geboten, von einem Bachelorstudiengang Psychotherapie abzusehen.

 

Gez.: Vorstand der GGFP e.V. im Januar 2019